Einleitung
Evolutionsbiologisch betrachtet stehen Superintelligenzen so
weit über dem Menschen wie dieser über dem Einzeller. Dennoch gelang es in
nahezu drei Jahrtausenden der Xenopsychologie, der Seelenstudie
nichtmenschlicher Existenzformen, einige Erkenntnisse über Leben und Verhalten
der Superintelligenzen zu gewinnen. Das am besten bekannte Studienobjekt ist
naturgemäß ES, der superintelligente Bewohner - keineswegs Herrscher - unserer
Lokalen Galaxiengruppe, der die Milchstraßengalaxis, Andromeda, Triangulum,
Maffei 1 und ca. ein bis zwei Dutzend Zwerggalaxien angehören.
Die Biologie vermeidet den etwas schwammigen Begriff superintelligent
und zieht vor, von mehrintelligent im Gegensatz zur Einintelligenz
unserer eigenen biologischen Entwicklungsstufe zu sprechen. Zur besseren
Verständlichkeit soll hier aber die im Volksmund eingebürgerte Vokabel
beibehalten werden.
In der Wiege eines Überwesens
Superintelligenzen (SI) werden nicht oft geboren, wohl nur
einmal alle paar Millionen Jahre. Ihre Lebensräume, die sogenannten Mächtigkeitsballungen,
die aus 5 bis 20 Galaxien bestehen, sind dünn gesät und können Abstände von
vielen Millionen Lichtjahren voneinander haben, getrennt durch einen Limbus,
der dutzende, manchmal tausende von Galaxien umfassen kann (z. B.
zwischen ES und ESTARTU oder ES und Seth-Apophis). Der mittlere Abstand
zwischen zwei Mächtigkeitsballungen scheint 30 bis 50 Millionen Lichtjahre zu
betragen. Das lässt eine Menge Spielraum, und vakant werdende
Mächtigkeitsballungen wie Seth-Apophis oder einst ESTARTU müssen nicht sofort
neu besetzt werden. Den neu Entstandenen bleibt genügend Platz, sich ein
eigenes Revier zu stecken, und wandernde Superintelligenzen noch ohne
Mächtigkeitsballung sind keine Seltenheit.
Sie können auf fast regellose Weise entstehen. Manchmal ist
ihre Geburt einfach eine Laune der Natur (die Kaiserin von Therm, PR 800,
Seth-Apophis – PR 1000 - ca. 1150). Auch wo die Entwicklung
vorhersehbarer abläuft, sind allenfalls Tendenzen feststellbar: Hochentwickelte
Zivilisationen nähern sich nämlich unausweichlich einer Schwelle zum
Zusammenschluss ihrer Bewusstseine in einem Überorganismus und somit zur
Formung einer neuen SI (das Konzil der Sieben, PR 650 - 849, der
Dekalog der Elemente, PR 1190 - ca. 1270, die Hathorer?). Begünstigte
Individuen sind ebenso fähig, sich zur SI zu entwickeln: besonders leicht fällt
das denen, die als Mächtige berufen und mit kosmokratischer Technik
ausgestattet werden (BARDIOC, PR 750 - 899, der Herr Heptamer, PR
1350 - 1399). Superintelligenzen sind aber auch zur aktiven
Vermehrung fähig, vorzugsweise durch Teilung (ES und Anti-ES - PR
600 - 649, das bzw. der YEPHENAS - ATLAN 450 - 499, BARDIOC
und seine vier Ableger CLERMAC, VERNOC, SHERNOC und BULLOC, ES & ESTARTU?), wobei allerdings
ihr additives Bewusstseinspotenzial nicht wächst: Die geteilte SI leidet an
einem drastischen Substanzverlust, der auf die eine oder andere Weise
ausgeglichen werden muss. Ein anderer, seltener beobachteter Vermehrungsprozess
ist die Züchtung von Saatlingen (der Dunkle Oheim - ATLAN 400 - 499).
ES nahm nach eigenen Aussagen den konventionellsten Weg: Er
entstand aus der kollektiven Vergeistigung eines alten Volkes, weshalb er
manchmal auch (biologisch nicht ganz korrekt) eine Kollektivintelligenz genannt
wird. Welche Geschöpfe ES vorausgingen, ist ebenso unbekannt wie die
Einzelheiten des Entstehungsprozesses, doch weiß man, dass das Volk der
Nocturnen, vor allem der Weise von Wyomon bzw. Fornax, dabei eine Rolle als »Geburtshelfer«
gespielt hatte. Nach den jüngsten Ereignissen im Arresum darf man vermuten,
dass die Lebensenergie der Nocturnen der Faktor war, der dem Vorgängervolk
half, die kritische Schwelle zu überwinden. Das Ergebnis waren jedoch
erstaunlicherweise zwei Superintelligenzen, ES und ESTARTU, die sich bis
heute als Geschwister begreifen.
Eine Superintelligenz wird erwachsen
Auch Superintelligenzen erfahren einen Reifeprozess. Jüngere
Exemplare sind oft noch innerlich ihrem Ursprung verhaftet und zeigen sich
gerne in physisch greifbarer Form (Kaiserin von Therm, BARDIOC, YEPHENAS). Mit
zunehmendem Alter erst scheinen sie sich an das Dasein als nackter Geist zu
gewöhnen und verzichten auf die materielle Gestalt, können aber weiterhin Teile
als externe Handlungseinheiten, sogenannte »Inkarnationen« oder »Boten«,
manifestieren (im Volksmund wurden auch BARDIOCs Ableger Inkarnationen genannt,
obwohl es sich eigentlich um Nachkommen handelte). ES nahm einst zweifellos
auch materielle Form an, zeigt sich heute aber oft nur als leuchtende
Energiekugel. Seine Inkarnationen, von ein oder mehreren Einzelbewusstseinen
bevölkert, die aus dem Pool abgespalten werden, haben vorzugsweise humanoide
Form. Am liebsten aber
sprach ES lange Zeit durch seinen Roboterassistenten Homunk, der erst in
jüngster Zeit durch das assimilierte Bewusstsein Ernst Ellerts ersetzt wurde.
Ob der Ende des 35. Jahrhunderts ausgesandte Homunk ein weiterer Roboter oder
eine Inkarnation war, ist unbekannt.
Der Fortschritt kann beschleunigt werden durch eine Art
superintelligenten Kannibalismus: die weitere Aufnahme freiwillig oder
zwangsweise vergeistigter Einintelligenzen (so absorbierte ES die aphile
Menschheit, die Kaiserin von Therm die Kelosker) und durch die Verschmelzung
mehrerer Superintelligenzen (Kaiserin von Therm & BARDIOC mit dem Resultat
einer größeren, reiferen SI namens THERMIOC). Das Endstadium ist die
Vereinigung mit allem materiellen und vor allem geistigen Inhalt ihrer
Mächtigkeitsballung: Alle Galaxien samt den einheimischen Lebensformen werden
aufgelöst und in die SI aufgenommen, die damit einen weiteren Schritt in ihrer
Evolution abschließt, auf den hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden
kann.
Auch wenn Superintelligenzen als reine Geistwesen keinen
festen Aufenthaltsort brauchen, ziehen sie doch gewöhnlich eine »feste Adresse«
vor. Vor allem die jüngeren, die noch einer physischen Erscheinungsform
verhaftet sind, nutzen meist einen Planeten oder zumindest ein Sternsystem als
Domizil, für die reiferen wie ESTARTU bleiben die materiellen Welten der
hauptsächliche Anlaufpunkt für den Kontakt mit Einintelligenzen. ES leistet
sich hierfür die Extravaganz eines mobilen, triebwerksgesteuerten Planeten, der
in zwei Hälften zerteilt wurde. Sein erster derartiger Wohnsitz war die Hemisphäre
Wanderer, die bei der bevorstehenden Wiederkehr des Schwarms präventiv zerstört
wurde. (PR 150 - 569) Später schuf ES eine andere Hemisphäre, EDEN
II, die zunächst als Basis der neugeschaffenen Konzepte benötigt wurde und
ihren Standort im psionischen Netz einnahm (PR 800 - 1400). Während
der Psiq-Krankheit entstand schließlich Wanderer II als bislang letzte
Kunstwelt. (PR 1500 ff.) Das Schicksal von EDEN II ist unbekannt,
doch fallt auf, dass dieser Stützpunkt seit der Tarkanium-Katastrophe (PR 1449)
nicht mehr gesehen wurde: vermutlich fiel er aus dem zusammenbrechenden
psionischen Netz und ging in Trümmer.
Der Spezialfall ES: Laissez-Faire in der Lokalen
Gruppe
Ohne eine Mächtigkeitsballung ist diese Fortentwicklung
stark eingeschränkt. Viele Superintelligenzen sind daher auf Expansion aus, oft
in einen Limbus hinein, oft auch in die Domänen der Nachbarn, die vermutlich
bessere Voraussetzungen für das Erreichen des nächsten Evolutionsschritts
bieten. Mächtigkeitsballungen müssen daher oft gegen Übergriffe verteidigt
werden, und Konflikte zwischen Superintelligenzen sind nicht selten.
Über seine Orientierung zwischen Ordnungs- und Chaosmächten
scheint sich ES nie schlüssig geworden zu sein: Er duldete zwar, dass sich
Kosmokraten in seiner Domäne einmischten, scheint jedoch hauptsächlich mit dem
sogenannten Dritten Weg, der Aufrechterhaltung des Universums in seiner
natürlichen Dynamik, zu sympathisieren. Das drückt sich auch durch das
Auftreten in seinem Herrschaftsgebiet aus. Während viele vor allem jüngere
Superintelligenzen glauben, alles durch direkte Kontrolle regeln zu müssen,
gibt sich ES »antiautoritär« und lehnt direkte Eingriffe ab, solange nicht der
Bestand seiner Domäne unmittelbar bedroht ist. Das heißt nicht, dass ES seine
Mächtigkeitsballung vernachlässige, auch wenn es äußeren Kräften oft so scheint
und sie die Lokale Gruppe für ein leichtes Angriffsziel halten (worin wir die
tragische Erklärung für all das Unheil finden, das sich so merkwürdig auf die
Milchstraßengalaxis zu konzentrieren scheint). Sein Rückzug aus der direkten
Kontrolle führte nämlich zu einem Zusammenbruch der sozialen Strukturen und
damit zu einem scheinbaren Rückschritt. Kaum eine Mächtigkeitsballung erweckt
von außen betrachtet solch einen Eindruck innerer Zerrissenheit wie die von ES.
Tatsächlich aber erwies sich die relativ unabhängige Handlungsfähigkeit der
Einintelligenzen als Stärke (das drastische Gegenbeispiel war Seth-Apophis,
deren direkte Steuerung so weit ging, dass die gesellschaftliche Struktur ihrer
Mächtigkeitsballung jede Flexibilität verlor, bei einem Ausfall der SI
vollständig paralysiert wurde und nicht mehr fähig war, sich gegen die Endlose
Arrnada zu behaupten).
Das war nicht immer so. Auch ES hat nach eigenem Bekunden
die Phase der direkten Autoritätsausübung durchgemacht, verlor jedoch
allmählich das Interesse an ihr. Heute reagiert er nur noch auf direkte
Bedrohungen seiner Existenz oder den Bestand seiner Mächtigkeitsballung. An deren struktureller Einheit
ist ES zwar weiterhin interessiert, doch zur Rückkehr zu einer direkten
Einflussnahme kann er sich nicht aufraffen. Stattdessen hat er sich zu einem
großen soziopolitischen Experiment entschlossen, indem er die Vereinigung nicht
aufzwingt, sondern sie gewissen favorisierten Spezies überlässt, den etwas
hochtrabend getauften »Erben des Universums« die jeweils eine Frist von ca.
20 000 Erdjahren zur Vollendung dieser Aufgabe gesetzt bekommen.
Das wirkt nicht, als habe ES es damit eilig.
Superintelligenzen haben aber ein ungewöhnliches Verhältnis zur Zeit: der
terranischen Wissenschaft ist bekannt, dass ES Zeit nicht als linearen Prozess
wahrnimmt, sondern als komplexes, mehrdimensionales Muster, in dem er sich
innerhalb gewisser Grenzen frei bewegen kann. Das wurde in der Verwirrung
zwischen Vergangenheit und Zukunft besonders offensichtlich (PR
1500 - 1599), die ES während des Befalls durch DORIFERs Psi-Quanten
(Psiqs) durchmachte. Konsequent durchdacht hat es die für unsere im linearen
Zeitablauf gefangenen Hirne kaum nachvollziehbare Folge, dass eine SI auch über
ihren eigenen Tod oder ihre Entfernung aus ihrem Kontinuum heraus aktionsfähig
bleibt. Das hieße im Grunde, dass auch in der Gegenwart noch mit Einflüssen von
Anti-ES oder Seth-Apophis zu rechnen wäre. Und ES' rechnerischer Irrtum um mehr
als 1000 Jahre, als er das Datum des nächsten Schwarmdurchzugs abschätzte,
stellt daher nur eine minimale Fehlermarge dar, da der Begriff der Gegenwart
für ihn eine ganz andere Bedeutung hat als für uns (PR 150 und 500 ff. Dass ES
das den Einintelligenzen kaum begreiflich machen kann, war ihm durchaus klar,
weswegen er lange Zeit auf die Verlegenheitslüge zurückgriff, das Suprahet sei
der Grund für die Aufgabe Wanderers gewesen).
In einer solchen Welt bedeutet auch der Tod nichts
Endgültiges, so dass die scheinbare Missachtung niederer Lebensformen
nachvollziehbarer wird. Dieses oft beschönigend als makabrer Humor
apostrophierte Verhalten resultiert aber auch daraus, dass Superintelligenzen
in Bereichen zu denken gewohnt sind, die Galaxien und Galaxienhaufen umfassen:
das Schicksal eines Individuums oder auch einer intelligenten Spezies berührt
sie nicht mehr als uns der Tod eines Hefepilzes in unserem Magen. Man muss aber
die Frage stellen, ob nicht ESTARTU die moralisch höherwertige SI ist, denn sie
folgte dem Notruf der Kansahariyya aus dem Universum Tarkan ohne Rücksicht auf
das eigene Leben (PR 1250-1399), während ES sich erst der bedrängten Ayindi
annahm, als die Abruse auf seine Mächtigkeitsballung überzugreifen drohte.
Leiden, Krankheit und Tod von Superintelligenzen
Bei allem biologischen Fortschritt sind Superintelligenzen
aber nicht gegen Tod und Vergehen immun. So können sie sich im Extremfall
vollständig in Inkarnationen zerlegen und auf die einintelligente Ebene
zurückkehren (ESTARTU, PR 1350 - 1399, Seth-Apophis, PR
1100 - 1170). Dieser Weg ist aber für die SI selbst zunächst
unumkehrbar: Zur Regenerierung bedurfte es in allen aufgezeichneten Fällen
eines Anstoßes von außen.
Auch der Tod hält sich nicht vor ihnen zurück. ES begriff
den Schwarm als persönliche Bedrohung, geriet durch eine List der Seth-Apophis
in die fast hoffnungslose Falle der Materiesenke Yarmithara und wäre durch das
Notprogramm, das nach Seth-Apophis' Involution in deren Mächtigkeitsballung
startete, fast getötet worden. Der deutlichste Fall ist der offensichtliche Tod
des Dunklen Oheims, der durch den regenerierten Mächtigen Yephenas
herbeigeführt worden war (ATLAN 499).
Gegenüber Phänomenen wie dem Befall mit Psi-Quanten, der
geradezu als Infektion einer SI betrachtet werden kann, sind als nicht tödlich
verlaufende Krankheiten hauptsächlich seelisch/geistige Störungen bekannt: zum Beispiel
eine Art Multiple-Persönlichkeits-Syndrom (MPS). Vor allem bei den
Superintelligenzen des klassischen Typs, die aus der Vergeistigung einer
organischen Spezies hervorgegangen sind, scheint die Verschmelzung oft nicht
perfekt zu sein und erzeugt widerstreitende Fraktionen im Multibewusstsein der
Lebensform. Erweist sich die Verschmelzung der widersprüchlichen Komponenten
als unmöglich, sucht die SI den Ausweg in einer zellteilungsähnlichen
Zersplitterung (BARDIOC und BULLOC, PR 800 - 869, YEPHENAS und der
Dunkle Oheim, ATLAN 400 - 499, und vor allem ES und Anti-ES, PR
600 - 649. In Anti-ES dürfen wir wohl primär jene Bewusstseine sehen,
die ihr Interesse an der direkten Kontrolle der Mächtigkeitsballung nicht verloren
hatten. Wie ich in früheren Artikeln bereits aufgezeigt habe, führte die
Trennung offenbar auch zu einer Aufteilung der Mächtigkeitsballung bis
mindestens in das 25. Jahrhundert, wobei ES die Milchstraße und ihre Begleiter,
Anti-ES dagegen Andromeda nebst Satellitengalaxien zugefallen waren).
Eine andere psychische Gefahrdung scheint aus der schieren
Lebensdauer der superintelligenten Existenz zu resultieren. Dass ES von sich
sagt, das Interesse an der direkten Machtausübung verloren zu haben, ist
eine verräterische Wortwahl. Der nichtmenschliche, gelegentlich unmenschliche
Humor deutet auf das gleiche Problem dessen hin, der kein klares Ziel für sich
ausmachen kann: die - das ist kein Widerspruch - tödliche Langeweile des
Unsterblichen. ES weiß nichts mit seiner Zeit anzufangen, Sein
Verhaltensschema, sofern es nicht dem puren Selbsterhaltungstrieb dient, wird
durch die wachsende seelische Trägheit der Jahrmillionen
währenden Existenz bestimmt. ES hat offenbar das Gefühl entwickelt, dass es auf
dieser Daseinsebene alles erreicht hat, was zu erreichen ist.
Das heißt nicht, dass wir es mit einer suizidgefährdeten SI
zu tun haben - und doch scheint ES eine Neigung zur Flucht aus der eigenen
Existenz zu entwickeln, und es kann dem Beobachter manchmal scheinen, als suche
er geradezu Gefahren, nur um Beschäftigung zu finden. Eine SI in seelischer
Krise? War es der Rückschlag durch den Verlust der Anti-ES-Bewusstseine, der
seine Psyche in Desorientierung gestürzt hat? Hatte ES bis zuletzt gehofft,
sich mit dem abgetrennten Widersacher wieder vereinen zu können? Die Trennung
musste beider Reifeentwicklung um Jahrmillionen zurückwerfen und sie weiter auf
der Ebene festhalten, der sie längst überdrüssig geworden waren. Dient die
Frist, die ES den »Erben des Universums« setzt, tatsächlich nur dem
vordergründigen Motiv, Zuhause Ordnung zu schaffen? Nein: Es wird ES mehr darum
gehen, dass der angestrebten politischen Vereinigung die soziale und schließlich
die geistige folgen wird. Womit endlich die Voraussetzung geschaffen wäre, dass
ES den Bewusstseinspool seiner Mächtigkeitsballung assimilieren und die
Evolutionsebene der Superintelligenzen verlassen kann. Die fast vollständige
Aufnahme der Nakken (PR 1599) war ein Fortschritt und machte es möglich, die
primitiven menschlichen Konzeptbewusstseine, die den abgespaltenen Anti-ES
notdürftig hatten ersetzen sollen, wieder abzutrennen und im Arresum einer
anderen Aufgabe zuzuführen. Doch solange die Erben des Universums ihr Ziel
nicht erreicht haben, muss ES weiter in der ungeliebten Existenz als SI
verharren.
Jene Fachkollegen aber, die deswegen gleich Paranoia
ausmachen wollen, schießen in meinen Augen über das Ziel hinaus. Ihre Argumente
sind vor allem die folgenden, die aber keinen schlüssigen Beweis für
Geistesgestörtheit bilden, sondern sich folgerichtig erklären lassen:
Da ist zuerst die ungewöhnliche Begegnung mit der Kunstwelt Wanderer
Beta im Jahr 3441 (PR 513). Man kann es drehen, wie man will: Wanderer Beta
ist atypisch, er passt weder in ES' Psychogramm noch in seine Geschichte. Der
erste Wanderer, EDEN II und Wanderer II präsentierten sich als freundliche,
parkähnliche Flachwelten. Wanderer Beta war eine Wüste. Wanderer I wurde
zerstört, um nicht dem sich nähernden Schwarm zum Opfer zu fallen - warum hätte
ES sich eine neue Kunstwelt schaffen sollen, bevor diese Gefahr verstrichen
war? Zum gleichen Zeitpunkt überließ er Homunk dem damaligen
Großadministrator, berief ihn aber bald darauf offenbar wieder ab. Im späten
36. Jahrhundert existierte Homunk nicht: wie bereits erwähnt schickte ES damals
einen Boten zur SOL, den er ausdrücklich Homunk II nannte. Erst während
des Psiq-Befalls wurde mit Wanderer II wohl auch Homunk neu erschaffen (oder
aus der Vergangenheit abgezogen?). Der Homunk von Wanderer Beta ist hier
deplatziert. Während alle anderen Homunks humanoid waren, zeigte sich der von
Wanderer Beta in Gestalt einer metallischen Raupe. Und obwohl die Terraner
damals alle Anstrengungen unternahmen, Wanderer Beta aus der Einflusszone des
Schwarms zu retten, wurden weder der Kunstplanet noch der Raupenhomunk je
wieder gesehen.
(Von der Hypothese, Wanderer Beta sei ein pararealer
Wanderer gewesen, wollen wir absehen. Der Pararealismus ist ein esoterisches
Konzept, dessen Anhänger meinen, mit seiner Hilfe alle Phänomene des Universums
erklären zu können, für die ihnen keine rationale Deutung einfallt. Die große
Mehrheit der Experten lehnt den Pararealismus als unwissenschaftlich ab.)
Wer war der Bewohner von Wanderer Beta, der Spaß an
Ödländern und monströsen Formen fand? Warum wurde ES' heutiges Domizil als
Wanderer II klassifiziert und nicht als Nr. III oder als Gamma? -
Es spricht alles dafür, dass trotz der gegenteiligen
Beteuerungen des Bewohners diese Kunstwelt nicht der Sitz von ES war.
Es war der Sitz von Anti-ES.
ES muss seinem ursprünglichen Plan gefolgt sein und sich vor
dem Schwarm in Sicherheit gebracht haben. Vermutlich hatte er sich entweder in
das Psionische Netz geflüchtet oder in der damals verlassenen
Mächtigkeitsballung ESTARTU Unterschlupf gesucht. Anti-ES sah die Chance, den
Rest der geteilten Mächtigkeitsballung in Besitz zu nehmen, vielleicht war er
auch töricht genug, den von BARDIOC manipulierten Schwarmgötzen ein Bündnis anbieten
zu wollen. Den physikalischen Einfluss des Schwarms aber hatte er unterschätzt:
So war es Anti-ES, der auf Wanderer Beta - bezeichnenderweise am Rand der
Milchstraßengalaxis, und sein Bewohner hatte nie zugegeben, aus welcher
Richtung er gekommen war - in höchste Bedrängnis geriet und gezwungen war, sich
gegenüber seinen Feinden ein weiteres Mal als ES auszugeben (was er
nachweislich des Öfteren getan hatte, vgl. PR 600-649), um sich von ihnen
retten zu lassen.
Das zweite, oft angeführte Argument ist die von ES
unerwartet übernommene Verantwortung für die Zellaktivatoren der Meister der
Insel. Im 12. Jh. NGZ stellte er die Dinge plötzlich so hin, als habe er den
Tefrodern die gleiche 20 000-Iahre-Frist eingeräumt, die vor ihnen
vermutlich die Lemurer und nach ihnen die Terraner erhalten hatten. (PR 1550 –
1599)
Man sollte aber Aussagen, die ES während des Psiq-Befalls
gemacht hat, grundsätzlich mit Skepsis behandeln. Wie könnten denn die Tefroder
und MdI die damaligen Erben des Universums gewesen sein, wenn doch allgemein
bekannt und anerkannt ist, dass die Terraner die Arkoniden in dieser
Rolle abgelöst haben? Es ist kein Fall dokumentiert, in dem ES zwei Völker
seines Reviers gleichzeitig zu Erben des Universums ernannt hätte.
In geistig gesundem Zustand hatte er dagegen stets
bestritten, für die MdI-Aktivatoren verantwortlich zu sein, und das wird in
tefrodischen Aufzeichnungen bestätigt, die bezeugen, dass ein gewisser Selaron
Merota, der so genannte »Schmied der Unsterblichkeit«, die Grundlagen der lebenserhaltenden
Technik ausgerechnet in einem Tempel eines unterentwickelten Planeten gefunden
hatte. Nach heutigem Wissensstand liegt auf der Hand - wie ich bei anderen
Gelegenheiten bereits argumentierte -, dass dieser Tempel von Anti-ES errichtet
worden war, der nicht so zurückhaltend handelte wie ES, sondern die Meister der
Insel mit ihren so verblüffend überragenden und andernfalls unerklärlichen
technischen Mitteln ausgerüstet hatte.
Weiterhin entsprachen die Mdl-Aktivatoren weder im
Erscheinungsbild noch im Innenleben denen, die ES selbst auszugeben pflegte:
Sie waren zylindrisch, nicht eiförmig, und vernichteten sich bei der Trennung
von ihrem Träger, was für die von ES ausgegebenen Aktivatoren völlig untypisch
wäre und auch nicht der Handlungsweise entspricht, die wir aus ES' Psychogramm
ableiten dürfen.
Warum nun diese Behauptungen des damals geistesgestörten ES,
die er zu bekräftigen versuchte, indem er Perry Rhodan auf eine Zeitreise
schickte? Die Antwort liegt auf der Hand: erst Monate später erkannte die
Wissenschaft, dass der Todeskampf, den ES nur durch das Opfer der Nakken und
aller Zellaktivatoren überstand, zu einer wachsenden Verwirrung des Zeitablaufs
geführt hatte. Vorübergehend entstand damals ein sekundärer Zeitstrom
(s-Strom), der in die Vergangenheit überschlug und die jüngere Geschichte der
ganzen Mächtigkeitsballung deformierte. (PR 1595 - 1599) Es war
der s-Strom, in dem ES sich für die Mdl-Aktivatoren verantwortlich machtel Für
den primären Zeitstrom (p-Strom), wie er sich uns vor und nach dem
Psiq-Befall darstellt, bleibt die einander bestätigende Aussage von ES und den
Tefrodern gültig, dass die MdI-Aktivatoren eine andere Urheberschaft haben.
Vermutlich hatte im s-Strom die Abspaltung von Anti-ES
niemals stattgefunden, so dass die Tefroder an die Stelle der Arkoniden
getreten waren. Dafür spricht die Begegnung, die Rhodan während seiner Reise in
den s-Strom mit einem frühen Homunk hatte, der das im p- Strom erst
Jahrtausende später entwickelte Interkosmo beherrschte - im s-Strom war
Interkosmo offenbar nicht aus dem Altarkonidischen, sondern aus dem Interandro,
der linguistisch verwandten Verkehrssprache Andromedas, hervorgegangen.
Das zeigt, wie verwirrt der Zeitstrom bereits war. Damit
klärt sich auf, weshalb ES Rhodans und Atlans Zeitreise eingeleitet hatte, eine
Frage, die damals nicht beantwortet werden konnte. Es war ein weiterer
Hilferuf, den die verzweifelte SI in ihrem endgültig letzten klaren Moment
ausstieß. Rhodan erlebte nicht die wahre Geschichte der MdI, wie wir sie aus
den tefrodischen Dokumenten erfahren haben, sondern sollte aus eigener Kraft
erkennen, wie die Vergangenheit deformiert wurde! Es war ein dünner
Strohhalm - und Rhodan versagte, weil er trotz der offensichtlichen
Widersprüche leichtgläubig akzeptierte, was er sah, und die solide
untermauerten Erkenntnisse der Fachwelt zu großzügig anzweifelte.
Bewusste Lügen können unserer SI nicht unterstellt werden.
Im s-Strom war das alles Realität. Doch mit ES' Heilung und der Rückkehr in den
p-Strom bleibt der in der Fachwelt allgemein anerkannte Geschichtsablauf
bestehen, in dem die Zellaktivatoren nicht von ES stammen, sondern Anti-ES
aller Wahrscheinlichkeit nach seine eigenen Erben des Universums eingesetzt hatte, um die geteilte
Mächtigkeitsballung in seinem Sinn zu ordnen.
Ausblick
Nun ist es möglich, eine grobe Vorhersage über die
zukünftige Entwicklung unserer Mächtigkeitsballung zu treffen. Die den
Terranern, den derzeitigen Erben des Universums, gesetzte Frist wird um das
Jahr 18400 NGZ ablaufen. Sollte es Perry Rhodan bis dahin nicht gelungen sein,
die Einigung der Lokalen Gruppe zu vollenden, steht der Ausgang fest, wie wir
während des Psi-Befalls erkennen mussten: Den Aktivatorträgern wird die
Unsterblichkeit ent zogen werden, sie werden nach einer letzten Zelldusche
einen schnellen Tod sterben, und ES wird eine andere Spezies als Erben des
Universums auswählen. Sollte das gesetzte Ziel aber erreicht werden, werden die
Unsterblichen voraussichtlich in ES aufgehen, die gesamte Mächtigkeitsballung
wird folgen und ES endlich zur lange ersehnten nächsten Evolutionsstufe
aufsteigen. Womit das Ende der PR-Chroniken erreicht wäre. Eine dieser beiden
Alternativen wird eines Tages den letzten geschriebenen Zyklus beenden, den die
Menschheit noch in ihrer materiellen Gestalt zu lesen bekommen wird.
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